Auch in Zeiten von E-Mail, Chatbots und Machine-2-Machine-Kommmuniktion gilt – zumindest im B2B-Segment – der Grundsatz „Geschäfte werden zwischen Menschen gemacht“. Insbesondere im Mittelstand sind Geschäftsbeziehungen immer auch persönliche Beziehungen.
Hier setzt man auf langjährige, vertrauensvolle Partnerschaften, die sich auch in der Not bewähren. Denn hier geht es nicht nur um „Ware gegen Geld“. Es geht auch um die Frage, wie Aufträge abgewickelt werden, um die Einhaltung von Fristen, um flexible Reaktionen oder um echte Zusatzservices. Strategische Partnerschaften umfassen neben der reinen Lieferbeziehung auch Wissensaustausch, Weiterentwicklung von Produkten und Prozessen oder gar gemeinsame Geschäftsaktivitäten.
In Zukunft kommen noch weitere Aspekte hinzu, die eine engere Kooperation bedingen. So verlangt das neue Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) ab Anfang 2023 eine höhere Transparenz entlang der Supply Chain, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie die Verletzung geschützter Rechtspositionen entlang ihrer Lieferketten zu identifizieren, zu verhindern, zu beenden oder zumindest ihr Ausmaß zu minimieren. Daneben entstehen auch „grüne Supply Chains“, die es ermöglichen, auch den Carbon Footprint und Ressourcenverbrauch der Vorprodukte in die Umweltbilanz mit aufzunehmen.
Auch in der aktuellen Corona-Pandemie ist die Qualität von Geschäftsbeziehungen ein wichtiger Faktor für den Geschäftserfolg. Denn unterbrochene Lieferketten aufgrund von Lockdowns und Logistik-Problemen sowie die Knappheit von Rohstoffen und Vorprodukten, wie aktuell beispielsweise Metalle, Kunststoffteile oder die oft genannten Chips, bedroht die Fertigung in zahlreichen Unternehmen. Wie gut oder schlecht eine Geschäftsbeziehung ist, kann mit darüber entscheiden, wie früh oder spät die Versorgung mit fehlenden Teilen wieder aufgenommen wird.
Veränderungen in den Wertschöpfungsketten
In der Vergangenheit waren Wertschöpfungsketten in der Regel streng linear. Sowohl Waren als auch Informationen wurden lediglich bilateral ausgetauscht. Eine grob vereinfachte Wertschöpfungskette reicht zum Beispiel vom Produzenten zu Großhändlern (Distributoren), von dort zu den Einzelhändlern und schließlich zum Endkunden. Die Daseinsberechtigung des Handels liegt in seiner Funktion als Intermediär begründet. Durch Reduzierung von Komplexität in der Auftragsabwicklung und die Funktion als direkter und beratender Ansprechpartner für den Kunden wird ein Mehrwert geschaffen. Der Hersteller muss nicht die Komplexität der vielen Abnehmer meistern, und der Kunde hat einen begrenzten Suchaufwand, um Produkte zu finden und zu bewerten. Der Informationsaustausch reicht dabei in der Regel nicht über die vor- bzw. nachgelagerte Wertschöpfungsstufe hinaus.
Seit einigen Jahren entsteht ein alternatives Modell zur linearen Supply Chain; das „Ecosystem“ als wirtschaftliches Ökosystem mit multilateralen Verknüpfungen der Akteure. Das Vehikel dieser vielfältigen Geschäftsbeziehungen ist die Plattform-Ökonomie. Denn insbesondere diese ist es, die auf technischer Seite die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Sammlung, Verarbeitung, Auswertung und des Transfers von Daten in großen Mengen in Echtzeit ermöglicht und damit die Grundlage für neue Geschäftsmodelle schafft. So können einzelne Entwicklungs- und Produktionsschritte in noch kleinere Einheiten zerlegt und an ausgewiesene Spezialisten ausgelagert werden, die sich in eng begrenzten Aufgaben durch eine besonders hohe Effizienz ausweisen. In diesem Umfeld entstehen einerseits neue Service- und Geschäftsmodelle. Auf der anderen Seite wird dadurch die Rolle der traditionellen Intermediäre bedroht.
Veranschaulichen lässt sich diese Entwicklung am Beispiel der Finanzindustrie: Die traditionelle Filialbank leidet unter rückläufigen Margen und einem Verlust von Marktanteilen, da Direktbanken auf den Markt drängen und Kunden mit neuartigen Online-Services für sich gewinnen. Diese Services werden jedoch nicht zwingend selbst entwickelt, sondern zum Teil von Kooperationspartnern bereitgestellt. Dabei handelt es sich meist um sogenannte Fintechs – innovative Unternehmen, die als IT-Spezialisten hocheffiziente und zuverlässige, oft eng fokussierte Finanzservices entwickeln. Moderne Kernbankensysteme ermöglichen eine einfache Integration dieser Services, so dass sie sich aus Sicht der Kunden nahtlos in die Apps und Websites der Direktbanken einfügen und nicht als Funktion eines Drittanbieters zu erkennen sind.
Infolge dieser Entwicklung hat sich die Zahl der Bankstellen – also Hauptsitze und Zweigstellen – von 2004 bis 2020 annähernd halbiert; die Zahl der eigenständigen Banken und Sparkassen ging im gleichen Zeitraum um 37,2 Prozent zurück. Diese Wucht der Veränderung, die mit der Digitalisierung einhergeht, wird auch als Disruption bezeichnet.
Ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch im Handel. Hier entstehen digitale Ökosysteme rund um Smart Retail, Wholesale bzw. Distribution. Zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen klassischen Industrien arbeiten hier kooperativ zusammen und erzeugen dabei neue Lösungen. So zum Beispiel „Smart Human“: in diesem Öko-System werden nicht nur traditionelle Sicherheitsausrüstungen vertrieben, sondern Services, die den Menschen bei ihren Tätigkeiten mehr Sicherheit bieten sollen. Hinzu kommen also:
- Sensoren und andere Technologien;
- Mobilfunkservices (zur Übertragung der Sensor-Daten);
- Cloud-Services (zur Analyse von Sensor-Daten, Verknüpfung mit Umweltdaten etc.), sowie
- technologisches Know-how über die ausgeübten Tätigkeiten und deren relevante Sicherheitsaspekte.
Auch hier droht den Intermediären die Ablösung, da ihre Funktion über Technologie abgebildet werden kann und die dadurch mögliche Automatisierung effizientere Prozesse verspricht.
Der Einfluss von Plattformen auf die Geschäftsbeziehungen
Festzuhalten bleibt: Zwischen Lieferant (Verkäufer) und Kunde (Einkäufer) schieben sich weitere Marktteilnehmer, die primär digitale Services anbieten. Komplexe Wertschöpfungsketten und eine hohe Zahl an Akteuren bedeuten zugleich auch geringe Transparenz und einen großen Bedarf an Informationsaustausch. Diese Voraussetzungen begünstigen die Entstehung von Plattform-basierten Geschäftsmodellen, die Komplexität reduzieren, mit technischen Mitteln den Informationsaustausch verbessern und so zu mehr Transparenz und höherer Effizienz beitragen.
Aus diesem Grund zeigt sich gerade im Handel ein starker Trend zu neuen Marktteilnehmern, die das Modell der Plattform-Ökonomie nutzen. Die Studie „Die Marktplatzwelt 2020“ verzeichnet global mehr als 480 Marktplätze. Davon bieten über 70 einen B2B-Ansatz, etliche verfolgen jedoch parallel auch ein B2C- oder C2C-Konzept. In Deutschland werden mehr als 40 B2B-Marktplätze gezählt.
Jedoch gibt es hier zwei Ausprägungen, die sich fundamental unterscheiden, nämlich mit und ohne Eigenhandel. Die einen fokussieren sich auf die Plattform und damit verbundene Services, sind also sowohl gegenüber Kunden wie Lieferanten neutral. Dazu zählen beispielsweise simple system oder Onventis. Die anderen, wie Amazon oder Mercateo, nehmen darüber hinaus selbst am Handelsgeschäft teil und stehen damit im Wettbewerb zu den Lieferanten auf der eigenen Plattform. Damit unterscheiden sich auch die Geschäftsbeziehungen grundlegend.
Plattformen ohne Eigenhandel haben es sich zur Aufgabe gemacht, insbesondere den administrativen Teil der Geschäftsbeziehung zu digitalisieren, also die Verknüpfung des Einkaufsprozess auf Kundenseite mit dem Verkaufsprozess auf Lieferantenseite. Als „Enabler“ unterstützen sie die Teilnehmer in ihren geschäftlichen Aktivitäten, anstatt diese selbst zu übernehmen. So bieten sie eine technische Infrastruktur, auf der das Zusammenspiel der Partner besonders effizient funktioniert. Dies ist insbesondere für jene Lieferanten attraktiv, die selbst Mehrwerte anbieten und dabei von der Handelsplattform unterstützt werden. Standardisierte Schnittstellen der Plattform vereinfachen den Datenaustausch zwischen Lieferant und Kunde, so dass die Vernetzung enger wird, was die Zusammenarbeit vereinfacht und die Geschäftsbeziehung stärkt.
Plattformen mit Eigenhandel verfolgen dagegen eher das Ziel, klassische Aufgaben der Handelsstufe zu übernehmen, wie Sortimentsbildung, Preisbildung, zum Teil auch Logistik und Consulting. Dadurch kommt es zu einer Unterbrechung der Geschäftsbeziehung: Geschäftspartner des Lieferanten ist nicht mehr der Kunde, sondern die Plattform, ebenso ist der Geschäftspartner des Kunden nicht mehr der ursprüngliche Lieferant, sondern die Plattform als zwischengeschalteter Händler.
Solche Plattformen sind für Kunden interessant, für die lediglich die jeweilige Transaktion relevant ist, wo hohe Transparenz über Preise und Verfügbarkeit die wesentlichen Faktoren für die Kaufentscheidung darstellen. Der Aufwand für Supplier Relationship Management (SRM), Verhandlungen über Preise und Konditionen fällt in diesem Fall weg. Auf der anderen Seite mangelt es unter Umständen an Transparenz in Bezug auf die Supply Chain, sprich: wer der ursprüngliche Lieferant ist, und in der Folge möglicherweise auch an Informationen zur Produktqualität. Zudem sind solche Plattformen kaum für Lieferanten mit umfangreichen Mehrwert-Leistungen geeignet, da diese Services aufgrund der „indirekten“ Kundenbeziehung nicht abgebildet bzw. angeboten werden können.
Fazit
Trotz Digitalisierung und Globalisierung haben direkte, starke Geschäftsbeziehungen gerade im Mittelstand weiterhin einen hohen Stellenwert. Zur Sicherung der Betriebskontinuität sind kleine und mittelständische Unternehmer in der Regel auf Partner angewiesen, die sich durch Qualität, Zuverlässigkeit und Termintreue auszeichnen, die ihrerseits an dauerhafter, nachhaltiger Zusammenarbeit interessiert sind und in schwierigen Situationen flexibel reagieren.
Digitale Handelsplattformen bieten die Chance, die Beschaffung effizienter und transparenter zu gestalten und so das eigene Geschäft zu stärken – wenn man die zur eigenen Ausrichtung passende Plattform wählt. Plattformen ohne Eigenhandel tragen dazu bei, gewachsene Geschäftsbeziehungen mit Hilfe der Digitalisierung noch effizienter zu machen und dabei nachhaltig zu stärken. Plattformen mit Eigenhandel sind eher dafür geeignet, Randbedarfe kostengünstig und mit reduziertem Aufwand zu beschaffen, wenn man im Gegenzug auf Mehrwerte, engere Geschäftsbeziehungen und Anbieter-Neutralität verzichtet. Schaut man lediglich auf die internen Prozesse, dann ähneln sich beide Plattform-Arten jedoch sehr stark.